Interview mit Sophie Becker bei Radio LORA München
Ein großes Fenster zur Welt
LORA München: Alle zwei Jahre wird München zum Schauplatz für inspirierende Begegnungen mit der lokalen und internationalen Theater-, Tanz- und Kunstszene. Auf was können wir uns in diesem Jahr freuen?
Sophie Becker: SPIELART ist ein großes Fenster zur Welt. SPIELART ist die Chance, Menschen aus aller Welt kennenzulernen, Künstler*innen aus aller Welt. Alle zwei Jahre im Herbst versammeln sich im Oktober 20 bis 30 Produktionen in der Stadt, in verschiedenen Spielstätten: traditionelle Spielstätten, aber auch immer wieder im öffentlichen Raum und in neu gefundenen Aufführungsorten.
LORA München: Blicken wir nochmal zurück. Was würden Sie sagen, was hat in den vergangenen Jahren das SPIELART Festival ganz besonders ausgezeichnet?
Sophie Becker: Spontan fallen mir da die Projekte in der Stadt ein, die eine lokale Sichtbarkeit erzeugen und die Bürger*innen außerhalb der Theaterräume mit einbeziehen. Eine zweite Besonderheit ist, dass wir immer mit internationalen Ko-Kurator*innen zusammenarbeiten, um deren Perspektiven einzubinden.
Bei den städtischen Projekten gab es z.B. vor vier Jahren die große Parade „Global Angst“ von Julian Warner, die durch die ganze Stadt bis zum Olympiapark gelaufen ist und dort in einem Ritual auf dem Olympiasee endete. Bei der letzten Festivalausgabe 2023 wurde mit dem Projekt “GGGNHM: guggenheim in münchen?” ein aufblasbares Miniatur-Guggenheim-Museum vor der Bayerischen Staatsoper aufgebaut. Einerseits haben wir uns dort sehr viel mit dem Thema Arbeitsmigration beschäftigt und mit Menschen, die aus diesem Grund nach Deutschland gekommen sind. Aber gleichzeitig standen wir vor der Oper und dem Residenztheater – das erzeugte eine große Neugier und so kam es immer wieder zu wertvollen Begegnungen, die für SPIELART sehr wichtig sind.
Zum anderen gibt es den internationalen Aspekt von SPIELART, wobei man sich natürlich immer fragen muss, was es bedeutet, dass ich als deutsche, weiße Kuratorin in andere Länder reise, mir dort Produktionen anschaue und sage, was ich für gut halte und was ich zum Festival einladen möchte. Das erinnert mich manchmal schon an eine koloniale Geste. Deshalb arbeiten wir mit Ko-Kurator*innen aus unterschiedlichen Ländern zusammen. Bei jeder Ausgabe haben wir zwei bis drei Ko-Kurator*innen, die dann z.B. aus Südafrika, Taiwan oder Belarus stammen und die ihre Perspektive, ihr Wissen beitragen, indem sie den Kontext erklären – unsere Diskussionen sind manchmal durchaus kontrovers. Dabei lerne ich auch immer wieder etwas.
Letztes Jahr hatten wir eine vietnamesische Ko-Kuratorin. Als wir einmal vom Kalten Krieg sprachen, reagierte sie empört und sagte: „Euer Kalter Krieg war in Vietnam relativ heiß!“. Da merkt man, wie unreflektiert man Worte verwendet. Des Weiteren überlegen wir aber auch immer wieder, wie wir Strukturen verbessern und lokale Szenen unterstützen können. So gab es letztes Mal einen jungen Mann aus Kampala, der bei uns ein Praktikum in der Technik gemacht hat. Seine Arbeit und seine Persönlichkeit waren eine große Bereicherung für uns, für das Team und für die Künstler*innen. Er hat jetzt vor Kurzem die Aufnahmeprüfung an der Theaterakademie August Everding in München bestanden und studiert dort Regie.
LORA München: Können Sie uns einen kleinen Ausblick auf die thematische Landschaft für 2025 geben?
Sophie Becker: Es gibt ein Thema, das wieder sehr stark im Kommen ist: Die Angst vor Krieg. Gerade jüngere Menschen fragen sich, wie man damit umgehen und sich positionieren soll. Außerdem beschäftigen sich viele Stücke mit der Frage, wie man heute solidarisch handeln kann. Es geht um das momentan viel beschriebene Gefühl der Vereinzelung, der Isolation. Es gibt in diesem Jahr mehrere Arbeiten, die unterschiedlich darauf antworten, wie man gemeinsam sein kann. (...)
Hinweis: Der Sender wird SPIELART in diesem Jahr redaktionell begleiten – mit regelmäßigen Beiträgen im LORA Magazin, jeweils am zweiten Mittwoch im Monat.