Betty Yi-Chun Chen

Von den Lücken und geschwärzten Stellen

Die Fotografie-Theoretikerin Ariella Azoulay schreibt, dass das Beharren darauf, den Widerschein vergangener Gewalttaten in der Gegenwart zu erkennen, das ferne „Dort“ im unmittelbaren „Hier“, den imperialistischen Strukturen entgegenwirkt, die ihre Gewalttaten in eine ferne Vergangenheit verdrängen (Civil Imagination: A Political Ontology of Photography, 2015). Ihr Argument zielt auf die Gewalt der Kolonialisierung, doch ich finde den Nachhall desselben auch in den künstlerischen Bemühungen wieder, die sich sowohl in Mark Teh/Five Arts Centre's A NOTIONAL HISTORY (Malaysia) als auch in The Party Theater Group's WHITE STORYTELLER (Taiwan) manifestieren. Ersteres stellt sich gegen das Narrativ der Unabhängigkeit Malaysias durch „friedliche Verhandlungen“ mit der britischen Kolonialmacht und das Verschweigen des Blutvergießens während der „Malayan Emergency“ 1951; Letzteres enthüllt die Grausamkeiten von Verhaftung und Folter während des Weißen Terrors in der Nachkriegszeit, der sich über vier Jahrzehnte (1949-1987) erstreckte, nachdem Taiwan angeblich friedlich zur Demokratie übergegangen war.

Krieg ist chaotisch und Geschichte voller Lücken und geschwärzter Stellen . Obwohl beide Werke völlig unterschiedliche Ansätze verfolgen – das eine mit dokumentarischem Material, das andere mit dem Drama eines Familiengeheimnisses, das auf realen Ereignissen beruht – eint sie der Kampf gegen das ungerechte Vergessen. In beiden Szenarien wurden Kommunist*innen zur Zielscheibe der Dämonisierung in der Gesellschaft und zum Vorwand für staatliche Gewalt, was nicht nur das Verständnis von Geschichte, sondern auch von Identität bis heute prägt. Der Kampf der malaysischen Kommunist*innen gegen die Kolonialmacht wurde aus den Geschichtslehrbüchern gestrichen, und eine Reform des Lehrplans wird vehement abgelehnt. In Taiwan begann die offizielle Aufarbeitung zwar bereits in den 1990er Jahren, konzentrierte sich aber lange Zeit nur auf die so genannten „unschuldigen“ Opfer, d. h. diejenigen, die keine politischen Tendenzen haben oder sich nicht sozialistisch engagieren. Die Anerkennung und Neubewertung der Opfer des Weißen Terrors, die politisch „unkorrekt“ sind, war erst in den letzten Jahren möglich.

Das ist es auch, was die beiden Werke auszeichnet, die sich gleichermaßen mit dem schwer fassbaren Wesen der Erinnerung und der Heterogenität der Opferrolle befassen. Vielleicht ist das der Grund, warum die Künstler*innen den Aspekt der persönlichen Projektionen in Liedern, Geistergeschichten und Puppenspielen von Robin-Hood-ähnlichen Abenteuersagen schätzen. Hier haben die Lücken und geschwärzten Stellen der Geschichte ihre Bühne. Die historischen Umstände sind verstrickt und kontingent, aber die Künstler*innen machen ihre Arbeit genau wegen und nicht trotz dieser Verstrickungen und Veränderungen.

Wie eine Darstellerin in A NOTIONAL HISTORY sagt: „Geschichte macht Dinge mit Menschen, aber nicht immer auf kausale, sequentielle und logische Weise.“ Indem uns diese Prozesse gezeigt werden, wird die Vergangenheit in die Gegenwart geholt, die auch unsere Zukunft bestimmt.