URSULA GISEMBA

EIN SONG FÜR ALICE: NEUE ORTE UND ANKOMMEN – 2. TEIL

Gedanken über „Die Reise nach Paraa“
Alice Auma, besser bekannt als Alice Lakwena, war eine Anführerin innerhalb der Acholi-Gemeinschaft in Uganda, die sich dafür einsetzte, dass die Acholi gleichberechtigt an den Ressourcen beteiligt werden. Ihr Lebenswerk ist jedoch von vielen Konflikten zwischen guten Absichten und negativen Auswirkungen gekennzeichnet. So wie es für jede gilt, die in den Bereichen nationale Politik und Krieg aktiv ist.

„Die Reise nach Paraa“ markiert den Beginn ihrer Odyssee. Sie ist als Fabel überliefert und wird einzig und allein aus der Sicht ihres Vaters, Severino, erzählt.

Severino schildert zunächst, wie seine Tochter zu Fuß endlose Landschaften durchquerte. Dann erzählt er von ihren Gesprächen mit anderen Wesen – die symbolische Darstellung einer höheren Macht, die sie zum Handeln aufforderte.

Alice hörte zu, fügte sich einer Macht, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen war, und begann mit ihrer Mission, ihr Volk zu retten.

Die Welt der Figuren in dieser Geschichte liegt außerhalb der klaren Grenzen menschlicher Erfahrung, ihr Reich der Natur und der Geister dehnt sich aus und formt sich frei. Mich selbst in die Figuren dieser Geschichte hineinzuversetzen bedeutet, die Personifizierung der Natur innerhalb ihrer Erfahrungswelt zu erkunden.

Das Folgende ist ein Auszug aus meinen ersten Texten, eine Neuinterpretation der Perspektive Severinos. Ich untersuche darin die Implikationen einer Kultur, die die Natur als aktiv handelnd begreift und von der man behaupten würde, dass sie mit der Natur in Dialog tritt.

My child disappears into the wilderness before the water settles on the grass.
The morning dew secretly reconnects to her early morning love. She spreads her weight on each adoring blade. The grass bends and worships its lost love. It has been too long a night of coaxing since and it would be wise to savour the moment before the sun comes to steal her away.
But the dew knows herself, a freely flowing element. She belongs to none. She will be held back by none.
The sun splits each drop, breaks each molecule down and wrestles to pull it to the blue floor. The sun wins the unfavourable match against the grass. the dew hovers looking down, longing to once again return. And the grass blades bend in shame begging for a lost love to return.
The dew looks down and dances in white circles. She gossips and whispers stories in shapes drawn on the blue floor. ‘I shall return.’

Und die Geschichte geht weiter... Alice antwortet, sucht die unterschiedlichsten Orte auf und unterhält sich mit der Natur: Tiere, Wasser, Luft, Land ... In dieser Welt ist das Getuschel der Wesen endlos, wie Stimmengewirr auf dem Markt, das man nur versteht, wenn man innehält und zuhört.

Das Getuschel der Wesen
Was bedeutet es, ein Gespräch mit der Natur zu führen? Es ist nicht ungewöhnlich, dass wir beschäftigten Menschen, die in den heutigen Systemen versunken sind, behaupten, dass die Erde spricht. Sprechen ... um zu reden? So ein wankelmütiger Begriff. Kommunizieren. Wie kommunizieren also andere Wesen über, unter und durch uns? Gibt es eine verlorene Sprache?

Severino erzählte diese Geschichte so: „Sie fragt das Wasser... Sie spricht mit den Nilpferden, den Krokodilen ... Sie wendet sich an den Berg ...“ Was ist diese geheime Sprache und wer versteht sie?

Die Reise von Alice führt uns in ein Dilemma. Ist dies nur ein romantisiertes Ideal der Natur, von der wir verlangen, dass sie sich unseren Gefühlsidealen beugt und anpasst, um uns das zu vermitteln, was wir uns wünschen? Oder gibt es eine Sprache, von der wir nichts wissen?

Über Ursula Gisemba

Die Autorin und Künstlerin Ursula Gisemba aus Nairobi ist die diesjährige Stipendiatin unseres Residenzprogramms – eine Kooperation mit Artist in Residence Munich: Villa Waldberta, Stadt München. In ihrer dreiteiligen Textserie gibt sie uns Einblicke geben in ihren Aufenthalt in der Villa Waldberta und ihr Schreibprojekt, das sich mit dem umstrittenen Werk von Alice Auma – einer Rebellen-Führerin in den 1980ern in Uganda – befasst. Hier geht es zum ersten Teil der Serie.