Rajesh Nirmal

ICH MÖCHTE DIESE BRÜCKE BAUEN

Bericht für das Arbeitsstipendium im Rahmen von SPIELART

In der Auseinandersetzung mit seiner Herkunft und seinem jetzigen Leben als Schriftsteller und Theaterregisseur entsteht die Idee für ein Solo-Theaterstück, an dem Rajesh Nirmal während des SPIELART Stipendiums arbeitet.

ICH MÖCHTE DIESE BRÜCKE BAUEN

Ich erlebe die Welten, durch die ich reise, und ich erfahre von den Träumen anderer Menschen. Aber wenn ich nach Hause zurückkehre, sehe ich viele Menschen, die nicht den Mut zum Träumen haben. Es fühlt sich an, als sei etwas in ihnen erschüttert worden. Was ist es, das sie erschüttert hat?

Meine Eltern waren Wanderarbeiter*innen aus einem Dorf in Uttar Pradesh, die in verschiedenen Teilen Delhis Wäsche wuschen und bügelten. Auch in ihnen war etwas erschüttert. Auf meiner Suche nach Antworten finde ich: das Kastenwesen.

Die Kaste, der ich angehöre und die in der Gesellschaft, in der ich lebe, als klein und unantastbar gilt. Als wollte man sagen: Träumen ist das Privileg der oberen Kasten.

Als Migrant der zweiten Generation, der weitaus gebildeter ist als der Rest meiner Altersgenoss*innen und meiner Familie, frage ich mich, was meine bisherige Lebensreise mit meinem Denken gemacht hat? Ich glaube, selbst nach dem Lesen verschiedener Bücher habe ich es nicht geschafft, mich von dem Mindset der Unterdrückung zu befreien. Auf meiner Ausbildung aufbauend habe ich eine neue Welt für mich geschaffen und konnte so diejenige meiner Kaste ausblenden.

Ich hatte immer Angst, dass diese Welt, die ich so sorgfältig mit Worten, Liedern und Theater aufgebaut hatte, mich plötzlich mitleidig ansehen würde, sobald sie erfahren würde, wer ich wirklich bin. Ich hatte Angst davor, meinen Sinn für Respekt und Gleichheit zu verlieren. In gewisser Weise hatte auch ich meine Träume dem jahrtausendealten System der Unterdrückung überlassen.

Die Welt des Theaters und der Performance hat mir eine andere Lebensweise aufgezeigt und ich habe beobachtet, wie Menschen ihr Wesen durch ihre künstlerische Praxis gefunden haben. Vom Rande des Geschehens aus zusehend, habe ich es anderen Stimmen ermöglicht, sich zu entfalten. Ich habe viele Geschichten geschrieben, die diejenigen in den Vordergrund rücken, die von der Gesellschaft versteckt werden. Ich möchte eine Brücke zwischen meinen beiden Welten schlagen, um zu sehen, wie meine Welt im Gesamten aussieht. Um diese Brücke zu bauen, werde ich ein Solo-Theaterstück inszenieren, in dem das Publikum eingeladen ist, Zeuge dieses Prozesses zu sein. Ich werde die Geschichten und Anekdoten aus meinem Leben – aus meinem Dorf und aus der Stadt – mit den Geschichten meines Volkes, meiner Kaste und des Landes, aus dem ich komme, verbinden.

Das Theaterstück wird im Rahmen des diesjährigen SPIELART Theaterfestivals in München zu sehen sein.

Über Rajesh Nirmal

Rajesh Nirmal ist Schriftsteller und Theaterregisseur und lebt in Neu-Delhi, Indien. Seine Theaterarbeit ist eine Reflexion über soziopolitische Strukturen und Realitäten in städtischen und ländlichen Kontexten. Für sein Stück MANY KINGS AND ONE QUEEN, das in den Traditionen der koreanischen und indischen Folklore verankert ist, erhielt er den National Playwright Award des Korean Culture Centre. Außerdem erhielt er den Sanjoy Ghosh Media Award 2020 für seine journalistische Arbeit, die sich auf das Leben von Frauen in ländlichen Gebieten in Uttar Pradesh, Indien, konzentriert.

Arbeitsstipendium 2022 im Rahmen von SPIELART

Aufgrund der Vielzahl und Vielfältigkeit der außerordentlichen Bewerbungen für das Residenzprogramm in Kooperation mit Artist in Residence Munich: Villa Waldberta, Stadt München, haben wir uns dazu entschlossen, weitere Arbeitsstipendien im Rahmen von SPIELART zu vergeben. Diese remote stattfindenden Stipendien wurden von uns begleitet und mentoriert. Neben den Künstler*innen Angelinah Maponya und Pankaj Tiwari ist der Künstler Rajesh Nirmal einer dieser Stipendiat*innen.